Interview mit Gilberte Favre zu ihrem Buch "Homöopathie für Schafe"

erschienen im Oktober 2011 im Narayana Verlag

Es führt durch das Interview für den Narayana Verlag:
Stefanie Olhöft, Tierheilpraktikerin
 
S.O.: Mit großem Interesse habe ich Ihr Buch über Homöopathie bei Schafen gelesen, Frau Favre! Und, in der Tat – wie Sie selbst in Ihrem Geleitwort schreiben – gibt es zu Schafen wenig Literatur, erst Recht, was die Homöopathie angeht. Dabei ist Ihnen ein Handbuch gelungen, das doch weit über die Information über homöopathische Behandlung hinaus geht! Hier werden auch fundierte Kenntnisse über typische Krankheitsbilder bei Schafen vermittelt. Da hört man die Praktikerin heraus! Mögen Sie zunächst etwas über sich und ihre (berufliche) Verbindung zu Schafen erzählen?

Autorin und Homöopathin Gilberte Favre

G.F.: Meine ursprüngliche berufliche Tätigkeit hatte nicht im geringsten mit Schafen zu tun, führte mich jedoch direkt zu ihnen: Nach abgeschlossenem Musikstudium an der Musikhochschule und Konservatorium in Zürich folgte eine intensive Zeit, ausgefüllt mit Herumreiserei, Musikunterricht, Konzerten und kirchenmusikalischen Auftritten. Nach 20 Jahren war ich ausgebrannt.

Etwa zu dieser Zeit suchten wir für unseren Esel eine gute Gesellschaft und das erste Schaf wurde gekauft. Per Zufall entdeckte ich die Skuddenrasse (Ostpreussisches Landschaf) und ab dann war für mich klar, dass ich diese Rasse züchten wollte. Nach und nach wurden es mehr Schafe, bis eines Tages eine Herdengrösse um die hundert Tiere erreicht war.

Mein damaliger Partner und ich kauften ein abgelegenes Bauernhaus mit grossem Umschwung. Seit dem war ich für meine Schafe zuständig. Da ich die einzige Schafhalterin weit und breit war, konnte mir auch niemand helfen, wenn eines der Tiere krank war oder verunfallte. Einzig ein Tierarzt aus einem Nachbardorf war mir zuweilen eine Hilfe, obwohl er nicht auf Schafe spezialisiert war. Mir blieb nichts anderes übrig, als möglichst viel Fachliteratur über Schafe zu lesen. Da ich stets Buch führte über die Krankheiten meiner Schafe und deren Behandlungsverlauf, lernte ich mit der Zeit aus meinen Fehlern, aber auch aus den erfolgreichen Behandlungen. Von der Geburtshilfe über Behandlung von Krankheiten und Unfällen, Einziehen der Ohrmarke, Klauenpflege, Schur, Kastrationen bis hin zur Euthanasie habe ich alles in relativ kurzer Zeit lernen müssen. Damals gab es noch kein Internet, bei welchem man jemand um Rat fragen konnte. Da ich zum Glück phytotherapeutisch „vorbelastet“ war, konnte ich viele Beschwerden der Schafe mit eigenen Pflanzenpräparaten zum Abklingen bringen.

S.O.: Frau Favre, erzählen Sie unseren Lesern doch bitte etwas über Ihren „homöopathischen Werdegang“! Wie sind Sie zur Homöopathie gekommen?

G.F.: Mein Interesse an Homöopathie wurde eines Tages geweckt, als ich in einem Heilpflanzenbuch auf den Begriff „Homöopathie“ stiess. Mir war an der Homöopathie sympathisch, dass etwa 70% der Arzneien pflanzlichen Ursprungs sind. Schwierig jedoch war der Einstieg in diese grenzenlose Materie, vor allem was die Gesetzmässigkeiten, die Regeln der homöopathischen Behandlung und die Charakteristika der Einzelmittel betrifft. In der Folge habe ich in Zürich nach  4- jährigem Fachstudium Naturheilkunde (Schwerpunkt Human – Homöopathie) mit einer Diplomarbeit abgeschlossen. Aufgrund meiner eigenen, jahrelangen Erfahrungen mit meinen Schafen konnte ich auf ein Erfahrungstool zurückgreifen und daher die erworbenen homöopathischen Kenntnisse rasch (Schafspezifisch) umsetzen. 

S.O.: In Ihrem Buch beschreiben Sie interessante Aspekte und vergleichen unter anderem sehr eindrucksvoll Homöopathie mit der Musik. Welche Schule oder welche Vorbilder haben Sie in Ihrem homöopathischen Denken und Arbeiten beeinflusst?

G.F.: Wie bereits erwähnt, als Berufsmusikerin war ich dementsprechend vorbelastet. Mich faszinieren seit jeher musikalische und physikalische Phänomene, die erfahrbar, aber nicht sichtbar sind. Kleines Beispiel: eine Sängerin mit Sopranstimme kann, wenn sie einen hohen Ton singt, damit ein Glas zum Zerbersten bringen.

Kein Lebewesen (Mensch, Tier, Pflanze), keine Materie (Wasser, Stein, Luft usw.) kann sich atmosphärischen-, jahreszeitlichen-, physikalischen Schwingungen entziehen. Ebenso besitzt jedes Individuum seine eigenen Schwingungen, sei es in sichtbarer Form von Zufriedenheit, Ärger, Unruhe, Angst usw.: alles Schwingungen, die nicht sichtbar, messbar sind, und trotzdem vom Individuum selbst und von der Umgebung wahrgenommen werden.

Ein gesundes, zufrieden im Stroh liegendes, wiederkäuendes Schaf wirkt auf den Betrachter anders, als ein Schaf, das unter Schmerzen leidet, unruhig ist, dauernd schreit und keine Ruhe findet. Insofern habe ich diese Erkenntnisse bei keiner Schule oder bei Vorbildern gelernt, sondern aufgrund meiner eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Um nochmals auf den eingangs erwähnten Satz zurückzukommen: als Berufsmusiker hat man „lebenslänglich“, das sitzt in einem fest. Der Umgang und das Verständnis Schwingungen jeglicher Art gegenüber, wird je nach Situation stets reaktiviert (das kann manchmal auch eine Belastung sein).
 

S.O.: Bei dem Vergleich von musikalischen Schwingungen und homöopathischen Komplexmitteln stellen Sie fest, dass Missverhältnisse (Dissonanzen) entstehen, wenn die Töne, bzw. Potenzhöhe zu nah beieinander liegen, da die Frequenzen zu ähnlich sind. Das würde doch bedeuten, dass die Frequenz eines homöopathischen Mittels ausschließlich von seiner Potenz abhängt und nicht auch von der Arznei als solches. Wie sehen Sie dies?

G.F.: Es ist nicht so, dass die Frequenz allein von der Potenzhöhe allein abhängt. Es spielen noch ungezählte, weitere Faktoren mit hinein. Einige Beispiele:

  • Welche Materie (tierisch, pflanzlich, mineralisch, metallisch usw.)
  • Welcher Zustand (gesund, pathologisch, verkohlt, tot, vertrocknet usw.)
  • Welcher Teil (Haut, Fell, Haar, Blüte, Frucht, Wurzel, Harz, Horn usw.)
  • Welcher Standort (Erde, Wasser, mineralischer Grund, Berg, Meer, Wald usw.)
  • Welcher Kontinent (Afrika, Grönland, Antillen usw.)
  • Zu welchem Zeitpunkt entnommen (Frühling, Winter, Morgens, Abends usw.)

Bei dieser breiten Palette musste ich mich auf die Hauptstrukturen beschränken, d.h. auf die in der Praxis am auffallendsten Faktoren. Am deutlichsten treten Dissonanzen bei der Wahl unpassender Potenzschrittabständen der Mittel untereinander. Die Arzneien als Solche noch einzeln zu Anderen als passend oder weniger passend zu definieren, hätte den Rahmen gesprengt und würde die Leserschaft nur verwirren.
In einem Kapitel weise ich auf die ungünstigen Kombinationen (Komplexmittel, zusammengesetzt aus: „Metall plus Tier plus Pflanze“) hin.

S.O.: Ein Merksatz im Zusammenhang mit der Verordnung von Komplexmitteln in ihrem Buch lautet sinngemäß, dass nach dem Einsatz von Komplexmitteln bis zur vollständigen Heilung mit Einzelmitteln weiterbehandelt werden soll. Der Einsatz der Komplexmittel verändert m. E. doch das Symptombild, ähnlich wie es ein allopathisches Medikament verändern würde. Sehen Sie dies nicht als problematisch für die Verordnung eines Einzelmittels an?

G.F.: Es kann durchaus vorkommen, dass ein Komplexmittel nach der Eingabe das Symptomenbild verschleiert. Häufig ist es in der Praxis so, dass es eilt. Dann ein Komplexmittel in Tiefpotenz (organotrop) zu verabreichen ist durchaus legitim. Diese Tiefpotenzen sind denn auch relativ rasch wieder „verbraucht“. Der erste Eindruck, den man beim Patienten hat, ist derjenige vor der Erstgabe. Dieser erste Eindruck kann ebenso für die Wahl des Folgemittels (Einzelmittel) auschlaggebend sein. Meine Erfahrung zeigt, dass Komplexe meist eine Verbesserung des Falles herstellen, die nachfolgenden Symptome dann mit dem passenden Einzelmittel rasch verschwinden. Natürlich ist es erstrebenswert, dem Patienten von Beginn an ein Einzelmittel zu verabreichen. Jedoch für die meisten Homöopathie - interessierten Anwender ist die Einzelmittelbehandlung aufgrund mangelnder Erfahrungen und /oder Materia medica Kenntnissen, beinahe unmöglich.

     

S.O.: Wie ist die von Ihnen aufgeführte Repertorisation zu verstehen? Handelt es sich bei der Auswertung der 30 Symptome um eine Art „Herdenrepertorisation“? Worauf ich  hinaus möchte, ist auch, in wieweit behandeln Sie Schafe individuell?

G.F.: Die Repertorisation beschreibt das Verhalten der Schafe generell, unabhängig von Rasse, Nutzung, Standorten, Haltungsbedingungen usw. Es ist der „Archetyp“ Schaf, der in dieser Repertorisation beschrieben ist. (Ich habe in meinem Leben schon tausende Schafe gesehen und erlebt und immer wieder diesen Archetyp erkannt.)

Die Repertorisation soll zum Einen eine Orientierungshilfe sein, zum Andern findet man das für das Individuum passende Mittel unter Umständen schneller, als wenn da nicht bereits etwas „vorgespurt“ wurde. In dieser „Allgemeinrepertorisation“ wird man  bereits auf schafspezifische Eigenheiten aufmerksam gemacht, was unter Umständen eine gezielte Suche nach dem Similimum erleichtert, wenn man das Individuum behandelt.

S.O.: Welche der heutigen homöopathischen Strömungen beeinflusst Sie persönlich in Ihrer Arbeit am meisten?

G.F.: Strömungen haben für mich etwas Gefährliches: in der Strömung kann man schnell abgetrieben werden und irgendwo landen, wo man sich nicht mehr zurechtfindet. Es ist nicht nur in der Homöopathie so, dass viele Untergruppierungen, andere Meinungen, Interpretationen, andere Ansichten entstehen. Oft driften gewisse Ansichten in Dimensionen ab, die für mich nicht mehr nachvollziehbar sind.
Ich beschränke mich auf die klassische Homöopathie nach Hahnemann, Kent, Burnett, zur Lippe, Boericke und die Altbewährten, das allein ist schon genug, um ein ganzes Leben lang damit beschäftigt zu sein. Von den „modernen“ Homöopathen entspricht mir die Arbeitsweise von André Saine sehr.

S.O.: Haben Sie sich auch mit der Miasmentheorie Hahnemanns beschäftigt? Wie sehen Sie die Anwendbarkeit dieser im Nutztierbereich?

   

G.F.: Gemäss meiner Ausbildung arbeite ich in meiner Praxis klassisch miasmatisch und bin damit immer gut gefahren. In der Humanhomöopathie ist die miasmatische Arbeit ein grossartiges Werkzeug, was das Verstehen der genetischen Belastungen und daraus entstehenden chronischen Krankheiten (und deren Behandlung) bei meinen Patienten betrifft.

Bei der Behandlung von Nutztieren hat die miasmatische Behandlung keine grosse Bedeutung in dem Sinne, dass man z.B. bei einer Rinderherde bei jedem einzelnen Tier die Familienanamnese erstellt, um zu schauen, wo die miasmatische Belastung sich als „roter Faden“ durch die Generationen zieht.

Eine Anamnese über mindestens 3 Generationen bei einem Nutztier (Rind, Schaf, Ziege) zu erstellen, ist aufgrund von mangelnden Fakten ein Ding der Unmöglichkeit. Hier behandelt aufgrund von akuten Symptomen =  klinische Homöopathie.
Natürlich sind auch Tiere miasmatisch belastet. Ebenso deutlich wie bei Menschen sind auch bei den Tieren alle 4 Haupt – Miasmen an den äusseren Zeichen (den Stigmata), dem Verhalten, den häufig vorkommenden tierartspezifischen Krankheiten in unterschiedlicher Ausprägung, erkennbar.
Bei Pferden z.B. dominiert im Miasmengefüge die Tuberculinie, bei Katzen und gewissen Hunderassen (z.B. Boxer) dominiert das syphilitische Miasma (Lues), bei Zootieren die Psora usw. Cancerinie, Ringworm und weitere Miasmen wurden der Miasmentheorie in neuerer Zeit hinzugefügt. Bei Schafen  sind in der Miasmatik vor allem Syphilinie (Lues) und Tuberculinie dominierend. Im Zeitalter der Impfungen hat auch die Sycose recht an Gewicht gewonnen.
Das Gemisch der Miasmenbelastung beim Tier analytisch aufzudröseln, bringt einen in der Akutbehandlung nicht recht weiter. Miasmatische Behandlung können sich eventuell bei hochkarätigen, wertvollen Rennpferden lohnen oder bei  sehr wertvollen Tieren, die zur Zucht eingesetzt werden.
Jedoch, wie bereits erwähnt: bei Nutztieren wird in der Regel klinische Homöopathie angewandt.

Gilberte Favre

Vielen Dank, Frau Favre, für dieses interessante Gespräch!


Quelle: Tierheilpraktiker aktuell / Stefanie Olhöft  

 

Gilberte Favre: Homöopathie für Schafe
Ein praktisches Handbuch zur Behandlung der wichtigsten Krankheiten und Verletzungen
328 Seiten, geb., Best.-Nr. 09443, € 39.-

 

 

Interview mit Gilberte Favre zu ihrem Buch "Homöopathie für Schafe"

erschienen im Oktober 2011 im Narayana Verlag

Es führt durch das Interview für den Narayana Verlag:
Stefanie Olhöft, Tierheilpraktikerin
 
S.O.: Mit großem Interesse habe ich Ihr Buch über Homöopathie bei Schafen gelesen, Frau Favre! Und, in der Tat – wie Sie selbst in Ihrem Geleitwort schreiben – gibt es zu Schafen wenig Literatur, erst Recht, was die Homöopathie angeht. Dabei ist Ihnen ein Handbuch gelungen, das doch weit über die Information über homöopathische Behandlung hinaus geht! Hier werden auch fundierte Kenntnisse über typische Krankheitsbilder bei Schafen vermittelt. Da hört man die Praktikerin heraus! Mögen Sie zunächst etwas über sich und ihre (berufliche) Verbindung zu Schafen erzählen?

Autorin und Homöopathin Gilberte Favre

G.F.: Meine ursprüngliche berufliche Tätigkeit hatte nicht im geringsten mit Schafen zu tun, führte mich jedoch direkt zu ihnen: Nach abgeschlossenem Musikstudium an der Musikhochschule und Konservatorium in Zürich folgte eine intensive Zeit, ausgefüllt mit Herumreiserei, Musikunterricht, Konzerten und kirchenmusikalischen Auftritten. Nach 20 Jahren war ich ausgebrannt.

Etwa zu dieser Zeit suchten wir für unseren Esel eine gute Gesellschaft und das erste Schaf wurde gekauft. Per Zufall entdeckte ich die Skuddenrasse (Ostpreussisches Landschaf) und ab dann war für mich klar, dass ich diese Rasse züchten wollte. Nach und nach wurden es mehr Schafe, bis eines Tages eine Herdengrösse um die hundert Tiere erreicht war.

Mein damaliger Partner und ich kauften ein abgelegenes Bauernhaus mit grossem Umschwung. Seit dem war ich für meine Schafe zuständig. Da ich die einzige Schafhalterin weit und breit war, konnte mir auch niemand helfen, wenn eines der Tiere krank war oder verunfallte. Einzig ein Tierarzt aus einem Nachbardorf war mir zuweilen eine Hilfe, obwohl er nicht auf Schafe spezialisiert war. Mir blieb nichts anderes übrig, als möglichst viel Fachliteratur über Schafe zu lesen. Da ich stets Buch führte über die Krankheiten meiner Schafe und deren Behandlungsverlauf, lernte ich mit der Zeit aus meinen Fehlern, aber auch aus den erfolgreichen Behandlungen. Von der Geburtshilfe über Behandlung von Krankheiten und Unfällen, Einziehen der Ohrmarke, Klauenpflege, Schur, Kastrationen bis hin zur Euthanasie habe ich alles in relativ kurzer Zeit lernen müssen. Damals gab es noch kein Internet, bei welchem man jemand um Rat fragen konnte. Da ich zum Glück phytotherapeutisch „vorbelastet“ war, konnte ich viele Beschwerden der Schafe mit eigenen Pflanzenpräparaten zum Abklingen bringen.

S.O.: Frau Favre, erzählen Sie unseren Lesern doch bitte etwas über Ihren „homöopathischen Werdegang“! Wie sind Sie zur Homöopathie gekommen?

G.F.: Mein Interesse an Homöopathie wurde eines Tages geweckt, als ich in einem Heilpflanzenbuch auf den Begriff „Homöopathie“ stiess. Mir war an der Homöopathie sympathisch, dass etwa 70% der Arzneien pflanzlichen Ursprungs sind. Schwierig jedoch war der Einstieg in diese grenzenlose Materie, vor allem was die Gesetzmässigkeiten, die Regeln der homöopathischen Behandlung und die Charakteristika der Einzelmittel betrifft. In der Folge habe ich in Zürich nach  4- jährigem Fachstudium Naturheilkunde (Schwerpunkt Human – Homöopathie) mit einer Diplomarbeit abgeschlossen. Aufgrund meiner eigenen, jahrelangen Erfahrungen mit meinen Schafen konnte ich auf ein Erfahrungstool zurückgreifen und daher die erworbenen homöopathischen Kenntnisse rasch (Schafspezifisch) umsetzen. 

S.O.: In Ihrem Buch beschreiben Sie interessante Aspekte und vergleichen unter anderem sehr eindrucksvoll Homöopathie mit der Musik. Welche Schule oder welche Vorbilder haben Sie in Ihrem homöopathischen Denken und Arbeiten beeinflusst?

G.F.: Wie bereits erwähnt, als Berufsmusikerin war ich dementsprechend vorbelastet. Mich faszinieren seit jeher musikalische und physikalische Phänomene, die erfahrbar, aber nicht sichtbar sind. Kleines Beispiel: eine Sängerin mit Sopranstimme kann, wenn sie einen hohen Ton singt, damit ein Glas zum Zerbersten bringen.

Kein Lebewesen (Mensch, Tier, Pflanze), keine Materie (Wasser, Stein, Luft usw.) kann sich atmosphärischen-, jahreszeitlichen-, physikalischen Schwingungen entziehen. Ebenso besitzt jedes Individuum seine eigenen Schwingungen, sei es in sichtbarer Form von Zufriedenheit, Ärger, Unruhe, Angst usw.: alles Schwingungen, die nicht sichtbar, messbar sind, und trotzdem vom Individuum selbst und von der Umgebung wahrgenommen werden.

Ein gesundes, zufrieden im Stroh liegendes, wiederkäuendes Schaf wirkt auf den Betrachter anders, als ein Schaf, das unter Schmerzen leidet, unruhig ist, dauernd schreit und keine Ruhe findet. Insofern habe ich diese Erkenntnisse bei keiner Schule oder bei Vorbildern gelernt, sondern aufgrund meiner eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Um nochmals auf den eingangs erwähnten Satz zurückzukommen: als Berufsmusiker hat man „lebenslänglich“, das sitzt in einem fest. Der Umgang und das Verständnis Schwingungen jeglicher Art gegenüber, wird je nach Situation stets reaktiviert (das kann manchmal auch eine Belastung sein).
 

S.O.: Bei dem Vergleich von musikalischen Schwingungen und homöopathischen Komplexmitteln stellen Sie fest, dass Missverhältnisse (Dissonanzen) entstehen, wenn die Töne, bzw. Potenzhöhe zu nah beieinander liegen, da die Frequenzen zu ähnlich sind. Das würde doch bedeuten, dass die Frequenz eines homöopathischen Mittels ausschließlich von seiner Potenz abhängt und nicht auch von der Arznei als solches. Wie sehen Sie dies?

G.F.: Es ist nicht so, dass die Frequenz allein von der Potenzhöhe allein abhängt. Es spielen noch ungezählte, weitere Faktoren mit hinein. Einige Beispiele:

  • Welche Materie (tierisch, pflanzlich, mineralisch, metallisch usw.)
  • Welcher Zustand (gesund, pathologisch, verkohlt, tot, vertrocknet usw.)
  • Welcher Teil (Haut, Fell, Haar, Blüte, Frucht, Wurzel, Harz, Horn usw.)
  • Welcher Standort (Erde, Wasser, mineralischer Grund, Berg, Meer, Wald usw.)
  • Welcher Kontinent (Afrika, Grönland, Antillen usw.)
  • Zu welchem Zeitpunkt entnommen (Frühling, Winter, Morgens, Abends usw.)

Bei dieser breiten Palette musste ich mich auf die Hauptstrukturen beschränken, d.h. auf die in der Praxis am auffallendsten Faktoren. Am deutlichsten treten Dissonanzen bei der Wahl unpassender Potenzschrittabständen der Mittel untereinander. Die Arzneien als Solche noch einzeln zu Anderen als passend oder weniger passend zu definieren, hätte den Rahmen gesprengt und würde die Leserschaft nur verwirren.
In einem Kapitel weise ich auf die ungünstigen Kombinationen (Komplexmittel, zusammengesetzt aus: „Metall plus Tier plus Pflanze“) hin.

S.O.: Ein Merksatz im Zusammenhang mit der Verordnung von Komplexmitteln in ihrem Buch lautet sinngemäß, dass nach dem Einsatz von Komplexmitteln bis zur vollständigen Heilung mit Einzelmitteln weiterbehandelt werden soll. Der Einsatz der Komplexmittel verändert m. E. doch das Symptombild, ähnlich wie es ein allopathisches Medikament verändern würde. Sehen Sie dies nicht als problematisch für die Verordnung eines Einzelmittels an?

G.F.: Es kann durchaus vorkommen, dass ein Komplexmittel nach der Eingabe das Symptomenbild verschleiert. Häufig ist es in der Praxis so, dass es eilt. Dann ein Komplexmittel in Tiefpotenz (organotrop) zu verabreichen ist durchaus legitim. Diese Tiefpotenzen sind denn auch relativ rasch wieder „verbraucht“. Der erste Eindruck, den man beim Patienten hat, ist derjenige vor der Erstgabe. Dieser erste Eindruck kann ebenso für die Wahl des Folgemittels (Einzelmittel) auschlaggebend sein. Meine Erfahrung zeigt, dass Komplexe meist eine Verbesserung des Falles herstellen, die nachfolgenden Symptome dann mit dem passenden Einzelmittel rasch verschwinden. Natürlich ist es erstrebenswert, dem Patienten von Beginn an ein Einzelmittel zu verabreichen. Jedoch für die meisten Homöopathie - interessierten Anwender ist die Einzelmittelbehandlung aufgrund mangelnder Erfahrungen und /oder Materia medica Kenntnissen, beinahe unmöglich.

     

S.O.: Wie ist die von Ihnen aufgeführte Repertorisation zu verstehen? Handelt es sich bei der Auswertung der 30 Symptome um eine Art „Herdenrepertorisation“? Worauf ich  hinaus möchte, ist auch, in wieweit behandeln Sie Schafe individuell?

G.F.: Die Repertorisation beschreibt das Verhalten der Schafe generell, unabhängig von Rasse, Nutzung, Standorten, Haltungsbedingungen usw. Es ist der „Archetyp“ Schaf, der in dieser Repertorisation beschrieben ist. (Ich habe in meinem Leben schon tausende Schafe gesehen und erlebt und immer wieder diesen Archetyp erkannt.)

Die Repertorisation soll zum Einen eine Orientierungshilfe sein, zum Andern findet man das für das Individuum passende Mittel unter Umständen schneller, als wenn da nicht bereits etwas „vorgespurt“ wurde. In dieser „Allgemeinrepertorisation“ wird man  bereits auf schafspezifische Eigenheiten aufmerksam gemacht, was unter Umständen eine gezielte Suche nach dem Similimum erleichtert, wenn man das Individuum behandelt.

S.O.: Welche der heutigen homöopathischen Strömungen beeinflusst Sie persönlich in Ihrer Arbeit am meisten?

G.F.: Strömungen haben für mich etwas Gefährliches: in der Strömung kann man schnell abgetrieben werden und irgendwo landen, wo man sich nicht mehr zurechtfindet. Es ist nicht nur in der Homöopathie so, dass viele Untergruppierungen, andere Meinungen, Interpretationen, andere Ansichten entstehen. Oft driften gewisse Ansichten in Dimensionen ab, die für mich nicht mehr nachvollziehbar sind.
Ich beschränke mich auf die klassische Homöopathie nach Hahnemann, Kent, Burnett, zur Lippe, Boericke und die Altbewährten, das allein ist schon genug, um ein ganzes Leben lang damit beschäftigt zu sein. Von den „modernen“ Homöopathen entspricht mir die Arbeitsweise von André Saine sehr.

S.O.: Haben Sie sich auch mit der Miasmentheorie Hahnemanns beschäftigt? Wie sehen Sie die Anwendbarkeit dieser im Nutztierbereich?

   

G.F.: Gemäss meiner Ausbildung arbeite ich in meiner Praxis klassisch miasmatisch und bin damit immer gut gefahren. In der Humanhomöopathie ist die miasmatische Arbeit ein grossartiges Werkzeug, was das Verstehen der genetischen Belastungen und daraus entstehenden chronischen Krankheiten (und deren Behandlung) bei meinen Patienten betrifft.

Bei der Behandlung von Nutztieren hat die miasmatische Behandlung keine grosse Bedeutung in dem Sinne, dass man z.B. bei einer Rinderherde bei jedem einzelnen Tier die Familienanamnese erstellt, um zu schauen, wo die miasmatische Belastung sich als „roter Faden“ durch die Generationen zieht.

Eine Anamnese über mindestens 3 Generationen bei einem Nutztier (Rind, Schaf, Ziege) zu erstellen, ist aufgrund von mangelnden Fakten ein Ding der Unmöglichkeit. Hier behandelt aufgrund von akuten Symptomen =  klinische Homöopathie.
Natürlich sind auch Tiere miasmatisch belastet. Ebenso deutlich wie bei Menschen sind auch bei den Tieren alle 4 Haupt – Miasmen an den äusseren Zeichen (den Stigmata), dem Verhalten, den häufig vorkommenden tierartspezifischen Krankheiten in unterschiedlicher Ausprägung, erkennbar.
Bei Pferden z.B. dominiert im Miasmengefüge die Tuberculinie, bei Katzen und gewissen Hunderassen (z.B. Boxer) dominiert das syphilitische Miasma (Lues), bei Zootieren die Psora usw. Cancerinie, Ringworm und weitere Miasmen wurden der Miasmentheorie in neuerer Zeit hinzugefügt. Bei Schafen  sind in der Miasmatik vor allem Syphilinie (Lues) und Tuberculinie dominierend. Im Zeitalter der Impfungen hat auch die Sycose recht an Gewicht gewonnen.
Das Gemisch der Miasmenbelastung beim Tier analytisch aufzudröseln, bringt einen in der Akutbehandlung nicht recht weiter. Miasmatische Behandlung können sich eventuell bei hochkarätigen, wertvollen Rennpferden lohnen oder bei  sehr wertvollen Tieren, die zur Zucht eingesetzt werden.
Jedoch, wie bereits erwähnt: bei Nutztieren wird in der Regel klinische Homöopathie angewandt.

Gilberte Favre

Vielen Dank, Frau Favre, für dieses interessante Gespräch!


Quelle: Tierheilpraktiker aktuell / Stefanie Olhöft  

 

Gilberte Favre: Homöopathie für Schafe
Ein praktisches Handbuch zur Behandlung der wichtigsten Krankheiten und Verletzungen
328 Seiten, geb., Best.-Nr. 09443, € 39.-

 

 





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