Aus dem Nähkästchen geplaudert

Francis Treuherz im Interview

Interview von Louise Mclean

Francis Treuherz

Francis Treuherz

Ich hatte das Glück, von Francis Treuherz, dem Herausgeber der Zeitschrift ‚The Homeopath’ von der ‚Society of Homeopaths’, in sein Haus eingeladen zu werden, um mit ihm über sein Werk zu sprechen.

Francis ist seit Jahren praktizierender Homöopath und arbeitet außerdem für die ‚Homeopathic Helpline’ von David Needleman.

Ich fragte ihn zunächst über die Zeit, die er in der Notfall-Klinik des National Health Service in London gearbeitet hatte. Er beendete seine Arbeit dort, weil in der medizinischen Primärversorgung die homöopathische Behandlung nicht mehr gefördert wurde.

“Ich möchte es nicht Notaufnahme nennen, aber ich habe 13 Jahre in der medizinischen Primärversorgung des National Health Service gearbeitet.“ Er gab mir eins seiner Rezepte, auf denen zwei Allgemeinpraxen standen, in denen er gearbeitet hatte. „Ich begann 1990 im Marylebone Health Centre, wo ich 3 Jahre arbeitete. Sie waren immer noch skeptisch der Homöopathie gegenüber; dann traf ich mich mit einem alten Freund, der im Fitzrovia Medical Centre arbeitete, und er zog sein Tagebuch heraus und sagte: „Wann kannst du anfangen?“ In diesen beiden Gesundheitszentren im Westend von London arbeitete ich 13 Jahre, außerdem in zwei weiteren Vorortpraxen. Eine davon gab mir ein Forschungsstipendium.

Ich hatte angenommen, dass die Beendigung seiner Arbeit beim NHS (National Health Service) etwas zu tun habe mit dem Brief, der von einigen skeptischen Professoren an die PCTs (Primary Care Trusts/Gesellschaft für medizinische Erstversorgung) geschrieben wurde, aber es lag offensichtlich an den neuen Reglementierungen, die durch die Blair-Regierung eingeführt worden waren. Francis erklärte:

“Ich habe von 1990 bis 2003 in der NHS gearbeitet – ein, zwei oder drei Tage pro Woche, denn damals hatten die Praxen ein gewisses Kontingent über ihre Budjets hinaus zur Verfügung, das sich fund-holding nannte. Die Labour Partei änderte das und führte die Primary Care Trusts ein, wo Gruppen von Praxen für ihre eigenen Budjets zuständig waren. So kam es, dass statt des größten der kleinste gemeinsame Nenner galt, und die Alternativmedizin war die erste Therapierichtung, die von der Bildfläche verschwand.“
“Viel später, im Mai 2007, schrieben Baum und andere diesen Brief an die Primary Care Trusts, in dem sie die Homöopathie für Unfug erklärten und forderten, dass keine Überweisungen zur homöopathischen Behandlung mehr ausgestellt würden. Es war eine Fälschung, in dem sie auf Papier mit dem Briefkopf des NHS schrieben, das sie eigentlich gar nicht benutzen durften. Das Gesundheitsministerium brachte diesen Irrtum im Oktober 2007 auf seiner Website. Das Dumme ist nur, dass diese Rüge nie die Bekanntheit des Originalbriefes erreichte. Leider war der Schaden schon angerichtet.”
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Chamomilla

Chamomilla

Ich fragte Francis nach seiner Meinung über die ständigen Angriffe gegen seinen Beruf.
“In gewisser Weise ist es Zeitvergeudung. Es kostet schrecklich viel Zeit, denn wenn sie über uns lachen, weiß man nicht, ob sie uns nur beleidigen wollen, oder ob sie es wirklich glauben.”
“Jedenfalls wollte ich schon immer beim NHS arbeiten und hatte nie gedacht, dass der Fall tatsächlich eintreten würde. Ich bekam Patienten zu sehen, die nie die Chance auf eine private Behandlung gehabt hätten.

Einmal behandelte ich ein Baby von Flüchtlingseltern, wo wir den Fall über Zeichensprache aufnehmen mussten. Die Mutter schüttelte den Arm des Kindes und aus ihren Gesten konnte ich entnehmen, dass das Kind einen Krampfanfall gehabt hatte. Anscheinend hatte das Kind nach seiner Ankunft in England eine DPT-Impfung erhalten, es bekam Krämpfe und war über und über mit Ekzemen bedeckt. So gab ich dem Kind Sulfur und einige Wochen später den potenzierten Impfstoff, und als ein so genannter ‚normaler Behandlungszustand’ erreicht war, begann es zu zahnen und bekam Chamomilla.“

Francis fuhr fort: “Ich erinnere mich auch an ein Kind mit Kopfschlagen, das unkontrollierbar traurig und gewalttätig war. Der Vater hatte durch einen Arbeitsunfall einen verkrüppelten Arm und konnte nicht mehr arbeiten. Das Kind hatte gerade begonnen, sich unter der homöopathischen Behandlung gut zu entwickeln, als der Brief kam, dass ich nicht weiter behandeln durfte. Ich war genauso in Tränen aufgelöst wie die Mutter.“
“Ich arbeitete lange Zeit in einer Praxis weiter, nachdem sich die Richtlinien geändert hatten und sie bezahlten mich weiter, aber als mein Seniorpartner starb, war Schluss.“
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NHS

National Health Service

Ich betonte, dass es für die Praxis eine große Hilfe gewesen sein müsse, von einer Menge von Fällen entlastet zu werden.
“Allerdings! Das Kriterium für die Überweisung zum Homöopathen war für die Praxis, Geld zu sparen und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.”
“Schade, dass keine mehr Homöopathen im NHS arbeiten. Es gibt keinen Grund, die Homöopathie so zu ächten.“

“Bald nachdem ich das College abgeschlossen hatte, arbeitete ich in Kalkutta. Ich hätte die Arbeit im NHS ohne diese klinische Erfahrung nicht leisten können. Ich arbeitete mit Menschen, deren Sprache ich nicht verstand und behandelte Krankheiten, die ich in England nie zu sehen bekommen hätte,” sagte er.

Ich wollte wissen, was es bedeutete, für die ‘Homeopathic Helpline’, zu arbeiten, die ein so wertvoller Service ist.
“Ich möchte wissen, wie die Patienten zum richtigen Mittel kommen, wenn sie es dringend brauchen?”
“Eine Sache ist, dass die ‘Helpline’ auch den Apotheken, die homöopathische Mittel vertreiben, geholfen hat, denn die Homöopathen sagen ihren Patienten, dass sie sich ein Set von Ainsworths oder Helios besorgen sollen, damit sie die Notfall-Mittel schon vorrätig haben. Ich habe ein gutes Gedächtnis für homöopathisch orientierte Apotheken und weiß, wo es Produkte von ‚Neal’s Yard’ gibt, aber in einigen ländlichen Gebieten gibt es noch zu wenige. Wenn jemand Pyrogenium braucht und er ist oben in den Pennines (Mittelgebirge in England), dann ist er aufgeschmissen. Schon lange vor der Helpline hatte ich tatsächlich einen Patienten oben in den Pennines mit einer Gallenkolik und ich beschrieb ihm, wie man einen ‚Liver-Flush’ (Leberentgiftung) macht und es funktionierte.”
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Helpline

Helpline

Ich fragte Francis, wie viele Anrufe er und David Needleman ungefähr pro Tag über die Homeopathic Helpline bekommen.
“Es können an einem Tag 25 und am nächsten 120 sein. Aber jedes Jahr gibt es einen Tag, an dem alles durcheinander geht – meistens um Weihnachten herum, wenn alle Homöopathen im Urlaub sind!

Alle Familien im ganzen Land sind gestresst , durch das Alleinsein, durch das Zusammensein mit Verwandten, durch Erkältung, Kater oder eine Kombination des o.g.! Und Lebensmittelvergiftung und Überfressen!”
“Die ‘Helpline’ ist toll,” fährt Francis fort. “Sie rufen uns an und sagen, sie wollten uns nicht an Weihnachten stören, aber David und mir macht das nichts aus, wir sind beide jüdisch.”

Sie müssen ganz schön schnell denken und Ihre einschlägigen Fragen stellen!
“Einmal musste ich sehr, sehr schnell denken. Ein Vater rief mich an und sagte, sein Sohn habe starke Schmerzen in den Hoden. Ich weiß nicht mehr, wieso es mir sogleich klar war, aber ich hatte den starken Verdacht auf eine Hodentorsion, wobei der Samenstrang verdreht ist und die Blutzufuhr zu den Hoden abschneidet. Wenn der Hoden gerettet werden soll, muss innerhalb 6 Stunden ein operativer Eingriff erfolgen. Ich riet dem Vater, sich ein paar Arnika-Kügelchen zu schnappen und seinen Sohn sofort in die Klinik zu bringen. Ich sagte ihm, er solle nicht auf einen Krankenwagen warten und seinem Sohn nach der Operation Arnika geben, um das Trauma zu heilen, und er solle auch selbst eine Dosis nehmen, um dem Schock entgegen zu wirken, den er zweifellos erleiden würde. Wenn ich mich geirrt hätte, würde es mir leid tun, aber wenn ich recht hätte und der Junge nicht operiert würde, könnten wir es bereuen.”
“Der Vater rief jedenfalls eine Woche später an, um mir zu sagen, dass ich recht gehabt hätte. Der Sohn hatte sofort operiert werden müssen, aber nun erholte er sich gut. Die Ärzte retteten die Fruchtbarkeit des Jungen und die Homöopathie half mit Arnika bei der Genesung.”
“Wir können Patienten helfen, sich besser zu fühlen, aber Ärzte sind oft gute Handwerker und Klempner, wenn es nötig ist. Das ist nicht abfällig gemeint. Eine Operation nach einem Unfall ist etwas anderes als eine Mandelentfernung, wenn wir die Bedingungen für ihr Auftreten verhindern können.” [...]
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Hahnemann Organon

Organon der Heilkunst

Wir wechselten nun das Thema und sprachen über einige alte homöopathische Bücher, die Francis über die Jahre gesammelt hatte.
“Ich habe mich immer für Bücher interessiert“, sagte er. Als erfolgreicher Patient las ich in den 1970er Jahren einen alten Boericke auf und dann gelang es mir, die ersten zwei Bände der Erstausgabe von Clarke’s Dictionary of Materia Medica für einen Fünfer zu bekommen.

Schließlich bekam ich dort auch noch den dritten Band. Mir wurden immer preiswerte Bücher angeboten. “Ich lieh ein Buch von der Gesellschaft der Englischen Homöopathen aus, von dem ich nachträglich denke, sie hätten es nicht verleihen sollen, aber das wusste ich damals nicht. Es waren Hahnemann’s Kleine Schriften von 1852. Ich packte es in meinen Fahrradkorb und an einer Ampel klaute mir ein Motorradfahrer den ganzen Korb. So brachte ich das Buch nie bis nachhause. Damals begann ich an Secondhand-Buchläden zu schreiben (lange bevor es Internet gab) um irgendwo eine Kopie zu finden. Es dauerte ein paar Jahre und dann, eines schönen Sommers, fand ich gleich zwei. Ich kaufte beide – eine für mich und eine für die Bibliothek. Der Bibliotheksleiter der BHA (British Homeopathy Association), der inzwischen im Ruhestand war, wurde sogar angerufen, um ihm zu sagen, dass eine Kopie aufgetaucht war!“
 “Damals hatte ich schon verschiedene andere Bücher gekauft, die mir auf meiner Suche nach diesem Buch angeboten worden waren. Ich bekam alle möglichen Bücher und dann kam auch noch eBay!!”
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Rosenda Salvado

Rosendo Salvado

Ich hätte nie gedacht, dass man bei eBay alte Homöopathie-Bücher bekommen kann!
 “Als ich einen Vortrag in Stockholm hielt, ging ich in einen Buchladen und fand ein Organon, das 1835 ins Schwedische übersetzt worden war! Die Leute, die ich dort besuchte, hatten nicht einmal gewusst, dass so etwas existierte. Ich habe das Organon auf Russisch, Hebräisch, Finnisch, Persisch, Polnisch, Norwegisch, Farsi und natürlich Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Es ist in viele, viele Sprachen übersetzt worden. Ich warte noch auf eine japanische Ausgabe, da ja auch in Japan homöopathisch behandelt wird.“
 “Als ich in Australien war, besuchte ich die Bibliothek eines Benediktinerklosters, eine oder zwei Fahrstunden von Pert entfernt in der Australischen Wüste.”

Haben Sie dort homöopathische Bücher?!
“Natürlich!”
“Ein Benediktinermönch namens Rosendo Salvado ging nach Australien um die Aborigines zum Christentum zu bekehren.Er unterzog sich der Mühe, ihre Sprache zu lerne, gründete eine Schule, ein Waisenhaus und eine Farm und sorgte für ihr Wohlergehen. Wenn sie krank wurden, gab er ihnen homöopathische Mittel. Wir fanden sogar einen Brief des Klosters mit einer Arzneimittelbestellung an eine Londoner Apotheke, weil die Lieferung offenbar von London schneller erfolgte als von Melbourne! Wir fanden ein altes Organon und viele andere homöopathische Bücher in der Klosterbibliothek.“
 [Francis Treuherz ‘Strange, rare and peculiar: Aborigines, Benedictines and homeopathy’. Homeopathy (2006) 95: 182-286. Illustrierte Kopien erhältlich bei: fran@gn.apc.org.]
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Samuel Hahnemann

Samuel Hahnemann

“Auf dem Weg zur Links-Konferenz in Heidelberg, schaute ich beim Robert-Bosch-Institut in Stuttgart vorbei, welches ein großes Hahnemann-Archiv besitzt.
Die dortigen Bibliothekare haben über Jahre hinweg mit mir Kopien von Büchern und Geschichten ausgetauscht. Über der Garderobe hing ein Hahnemann-Porträt in voller Größe, auf dem er aussieht wie ein brummiger alter Mann, ganz anders als auf den idealisierten Bildern. Sie hatten dieses Bild offenbar bei einer Auktion ersteigert. Der Künstler hieß A.B.J.Hesse, aber niemand wusste irgendetwas über ihn, nicht einmal mein Bruder, ein hervorragender Kunsthistoriker.“


“Der ‘Complementary and Alternative Medicine library and information service’ im ‘Royal London Homeopathic Hospital’ www.cam.nhs.uk hat eine Postcarte mit einer Reproduktion eines Hahnemann-Bildes eines russischen Künstlers, A.J. Beidemann. Hahnemann ist dargestellt oben in den Wolken sitzend und auf die Allopathen herabschauend. Ich empfehle Ihnen, es sich anzuschauen. Es gibt dort einen online Bibliotheks-Dienst wie an einer Universität.”
Ich würde das Bild und die Bibliothek sehr gerne sehen.
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Hahnemann Guard

Hahnemann Guard

Francis besitzt ein Amerikanisches Polizei-Abzeichen, auf dem ‘Hahnemann Guard’ eingraviert ist.
“Das war das Abzeichen eines Polizisten aus Philadelphia, der in den Ruhestand gegangen ist und es bei eBay verkauft hat. Er war von Beruf Wachmann im Hahnemann Hospital in Philadelphia.”

“Ich bekam zwei von diesen Abzeichen und schickte eines davon an meinen Freund, den inzwischen verstorbenen Julian Winston in Neu Seeland.”

Er zeigte ein lustiges Foto von Julian mit dem Abzeichen. „Julian lebte ursprünglich in Philadelphia, wo Boericke und Tafel waren. Das waren im 19.Jahrhundert die größten Herausgeber und Produzenten von Homöopathie in den ganzen USA. Als sie nach Kalifornien umzogen, versuchte Julian sie davon abzubringen, ihre alten Besitztümer wegzuwerfen. Er hatte keinen Erfolg, aber da er am Ort wohnte, hatte er Gelegenheit, die Müllcontainer zu inspizieren und konnte einige wichtige Dinge retten.

Dann zeigte er mir eines von Hahnemanns Wachs-Siegeln von einem Briefumschlag, den er bei eBay ersteigert hatte. Ich sah auch einen kleinen Löffel zur Jahrhundertfeier des ‘Royal London Homeopathic Hospital’ datiert 1849 –1949 und eine Medaille, die einer Krankenschwester als Auszeichnung für ihren 40jährigen Dienst im RLHH erhalten hatte. Er zeigte mir auch Beispiele von Schriftproben, die für die Arzneimittelfindung bei den betreffenden Personen herangezogen und für die Verordnung von Schüßler-Salzen verwendet worden waren.

Louise Mclean

Louise Mclean

Das Interview näherte sich seinem Ende und es wurde Zeit für mich zu gehen. Es war ein faszinierendes Erlebnis, so viel über Francis Leben zu erfahren und die interessanten Geschichten zu hören, die er zu erzählen hatte.

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Francis Treuherz, MA, RSHom, FSHom, lebt in London, UK. Er ist seit 1984 praktizierender Homöopath und hat viele historische und klinische Artikel, einen Forschungsbericht und ein Buch geschrieben.

Original-Artikel und weitere Informationen bei Avilian

 

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Francis Treuherz im Interview

Interview von Louise Mclean

Francis Treuherz

Francis Treuherz

Ich hatte das Glück, von Francis Treuherz, dem Herausgeber der Zeitschrift ‚The Homeopath’ von der ‚Society of Homeopaths’, in sein Haus eingeladen zu werden, um mit ihm über sein Werk zu sprechen.

Francis ist seit Jahren praktizierender Homöopath und arbeitet außerdem für die ‚Homeopathic Helpline’ von David Needleman.

Ich fragte ihn zunächst über die Zeit, die er in der Notfall-Klinik des National Health Service in London gearbeitet hatte. Er beendete seine Arbeit dort, weil in der medizinischen Primärversorgung die homöopathische Behandlung nicht mehr gefördert wurde.

“Ich möchte es nicht Notaufnahme nennen, aber ich habe 13 Jahre in der medizinischen Primärversorgung des National Health Service gearbeitet.“ Er gab mir eins seiner Rezepte, auf denen zwei Allgemeinpraxen standen, in denen er gearbeitet hatte. „Ich begann 1990 im Marylebone Health Centre, wo ich 3 Jahre arbeitete. Sie waren immer noch skeptisch der Homöopathie gegenüber; dann traf ich mich mit einem alten Freund, der im Fitzrovia Medical Centre arbeitete, und er zog sein Tagebuch heraus und sagte: „Wann kannst du anfangen?“ In diesen beiden Gesundheitszentren im Westend von London arbeitete ich 13 Jahre, außerdem in zwei weiteren Vorortpraxen. Eine davon gab mir ein Forschungsstipendium.

Ich hatte angenommen, dass die Beendigung seiner Arbeit beim NHS (National Health Service) etwas zu tun habe mit dem Brief, der von einigen skeptischen Professoren an die PCTs (Primary Care Trusts/Gesellschaft für medizinische Erstversorgung) geschrieben wurde, aber es lag offensichtlich an den neuen Reglementierungen, die durch die Blair-Regierung eingeführt worden waren. Francis erklärte:

“Ich habe von 1990 bis 2003 in der NHS gearbeitet – ein, zwei oder drei Tage pro Woche, denn damals hatten die Praxen ein gewisses Kontingent über ihre Budjets hinaus zur Verfügung, das sich fund-holding nannte. Die Labour Partei änderte das und führte die Primary Care Trusts ein, wo Gruppen von Praxen für ihre eigenen Budjets zuständig waren. So kam es, dass statt des größten der kleinste gemeinsame Nenner galt, und die Alternativmedizin war die erste Therapierichtung, die von der Bildfläche verschwand.“
“Viel später, im Mai 2007, schrieben Baum und andere diesen Brief an die Primary Care Trusts, in dem sie die Homöopathie für Unfug erklärten und forderten, dass keine Überweisungen zur homöopathischen Behandlung mehr ausgestellt würden. Es war eine Fälschung, in dem sie auf Papier mit dem Briefkopf des NHS schrieben, das sie eigentlich gar nicht benutzen durften. Das Gesundheitsministerium brachte diesen Irrtum im Oktober 2007 auf seiner Website. Das Dumme ist nur, dass diese Rüge nie die Bekanntheit des Originalbriefes erreichte. Leider war der Schaden schon angerichtet.”
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Chamomilla

Chamomilla

Ich fragte Francis nach seiner Meinung über die ständigen Angriffe gegen seinen Beruf.
“In gewisser Weise ist es Zeitvergeudung. Es kostet schrecklich viel Zeit, denn wenn sie über uns lachen, weiß man nicht, ob sie uns nur beleidigen wollen, oder ob sie es wirklich glauben.”
“Jedenfalls wollte ich schon immer beim NHS arbeiten und hatte nie gedacht, dass der Fall tatsächlich eintreten würde. Ich bekam Patienten zu sehen, die nie die Chance auf eine private Behandlung gehabt hätten.

Einmal behandelte ich ein Baby von Flüchtlingseltern, wo wir den Fall über Zeichensprache aufnehmen mussten. Die Mutter schüttelte den Arm des Kindes und aus ihren Gesten konnte ich entnehmen, dass das Kind einen Krampfanfall gehabt hatte. Anscheinend hatte das Kind nach seiner Ankunft in England eine DPT-Impfung erhalten, es bekam Krämpfe und war über und über mit Ekzemen bedeckt. So gab ich dem Kind Sulfur und einige Wochen später den potenzierten Impfstoff, und als ein so genannter ‚normaler Behandlungszustand’ erreicht war, begann es zu zahnen und bekam Chamomilla.“

Francis fuhr fort: “Ich erinnere mich auch an ein Kind mit Kopfschlagen, das unkontrollierbar traurig und gewalttätig war. Der Vater hatte durch einen Arbeitsunfall einen verkrüppelten Arm und konnte nicht mehr arbeiten. Das Kind hatte gerade begonnen, sich unter der homöopathischen Behandlung gut zu entwickeln, als der Brief kam, dass ich nicht weiter behandeln durfte. Ich war genauso in Tränen aufgelöst wie die Mutter.“
“Ich arbeitete lange Zeit in einer Praxis weiter, nachdem sich die Richtlinien geändert hatten und sie bezahlten mich weiter, aber als mein Seniorpartner starb, war Schluss.“
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NHS

National Health Service

Ich betonte, dass es für die Praxis eine große Hilfe gewesen sein müsse, von einer Menge von Fällen entlastet zu werden.
“Allerdings! Das Kriterium für die Überweisung zum Homöopathen war für die Praxis, Geld zu sparen und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.”
“Schade, dass keine mehr Homöopathen im NHS arbeiten. Es gibt keinen Grund, die Homöopathie so zu ächten.“

“Bald nachdem ich das College abgeschlossen hatte, arbeitete ich in Kalkutta. Ich hätte die Arbeit im NHS ohne diese klinische Erfahrung nicht leisten können. Ich arbeitete mit Menschen, deren Sprache ich nicht verstand und behandelte Krankheiten, die ich in England nie zu sehen bekommen hätte,” sagte er.

Ich wollte wissen, was es bedeutete, für die ‘Homeopathic Helpline’, zu arbeiten, die ein so wertvoller Service ist.
“Ich möchte wissen, wie die Patienten zum richtigen Mittel kommen, wenn sie es dringend brauchen?”
“Eine Sache ist, dass die ‘Helpline’ auch den Apotheken, die homöopathische Mittel vertreiben, geholfen hat, denn die Homöopathen sagen ihren Patienten, dass sie sich ein Set von Ainsworths oder Helios besorgen sollen, damit sie die Notfall-Mittel schon vorrätig haben. Ich habe ein gutes Gedächtnis für homöopathisch orientierte Apotheken und weiß, wo es Produkte von ‚Neal’s Yard’ gibt, aber in einigen ländlichen Gebieten gibt es noch zu wenige. Wenn jemand Pyrogenium braucht und er ist oben in den Pennines (Mittelgebirge in England), dann ist er aufgeschmissen. Schon lange vor der Helpline hatte ich tatsächlich einen Patienten oben in den Pennines mit einer Gallenkolik und ich beschrieb ihm, wie man einen ‚Liver-Flush’ (Leberentgiftung) macht und es funktionierte.”
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Helpline

Helpline

Ich fragte Francis, wie viele Anrufe er und David Needleman ungefähr pro Tag über die Homeopathic Helpline bekommen.
“Es können an einem Tag 25 und am nächsten 120 sein. Aber jedes Jahr gibt es einen Tag, an dem alles durcheinander geht – meistens um Weihnachten herum, wenn alle Homöopathen im Urlaub sind!

Alle Familien im ganzen Land sind gestresst , durch das Alleinsein, durch das Zusammensein mit Verwandten, durch Erkältung, Kater oder eine Kombination des o.g.! Und Lebensmittelvergiftung und Überfressen!”
“Die ‘Helpline’ ist toll,” fährt Francis fort. “Sie rufen uns an und sagen, sie wollten uns nicht an Weihnachten stören, aber David und mir macht das nichts aus, wir sind beide jüdisch.”

Sie müssen ganz schön schnell denken und Ihre einschlägigen Fragen stellen!
“Einmal musste ich sehr, sehr schnell denken. Ein Vater rief mich an und sagte, sein Sohn habe starke Schmerzen in den Hoden. Ich weiß nicht mehr, wieso es mir sogleich klar war, aber ich hatte den starken Verdacht auf eine Hodentorsion, wobei der Samenstrang verdreht ist und die Blutzufuhr zu den Hoden abschneidet. Wenn der Hoden gerettet werden soll, muss innerhalb 6 Stunden ein operativer Eingriff erfolgen. Ich riet dem Vater, sich ein paar Arnika-Kügelchen zu schnappen und seinen Sohn sofort in die Klinik zu bringen. Ich sagte ihm, er solle nicht auf einen Krankenwagen warten und seinem Sohn nach der Operation Arnika geben, um das Trauma zu heilen, und er solle auch selbst eine Dosis nehmen, um dem Schock entgegen zu wirken, den er zweifellos erleiden würde. Wenn ich mich geirrt hätte, würde es mir leid tun, aber wenn ich recht hätte und der Junge nicht operiert würde, könnten wir es bereuen.”
“Der Vater rief jedenfalls eine Woche später an, um mir zu sagen, dass ich recht gehabt hätte. Der Sohn hatte sofort operiert werden müssen, aber nun erholte er sich gut. Die Ärzte retteten die Fruchtbarkeit des Jungen und die Homöopathie half mit Arnika bei der Genesung.”
“Wir können Patienten helfen, sich besser zu fühlen, aber Ärzte sind oft gute Handwerker und Klempner, wenn es nötig ist. Das ist nicht abfällig gemeint. Eine Operation nach einem Unfall ist etwas anderes als eine Mandelentfernung, wenn wir die Bedingungen für ihr Auftreten verhindern können.” [...]
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Hahnemann Organon

Organon der Heilkunst

Wir wechselten nun das Thema und sprachen über einige alte homöopathische Bücher, die Francis über die Jahre gesammelt hatte.
“Ich habe mich immer für Bücher interessiert“, sagte er. Als erfolgreicher Patient las ich in den 1970er Jahren einen alten Boericke auf und dann gelang es mir, die ersten zwei Bände der Erstausgabe von Clarke’s Dictionary of Materia Medica für einen Fünfer zu bekommen.

Schließlich bekam ich dort auch noch den dritten Band. Mir wurden immer preiswerte Bücher angeboten. “Ich lieh ein Buch von der Gesellschaft der Englischen Homöopathen aus, von dem ich nachträglich denke, sie hätten es nicht verleihen sollen, aber das wusste ich damals nicht. Es waren Hahnemann’s Kleine Schriften von 1852. Ich packte es in meinen Fahrradkorb und an einer Ampel klaute mir ein Motorradfahrer den ganzen Korb. So brachte ich das Buch nie bis nachhause. Damals begann ich an Secondhand-Buchläden zu schreiben (lange bevor es Internet gab) um irgendwo eine Kopie zu finden. Es dauerte ein paar Jahre und dann, eines schönen Sommers, fand ich gleich zwei. Ich kaufte beide – eine für mich und eine für die Bibliothek. Der Bibliotheksleiter der BHA (British Homeopathy Association), der inzwischen im Ruhestand war, wurde sogar angerufen, um ihm zu sagen, dass eine Kopie aufgetaucht war!“
 “Damals hatte ich schon verschiedene andere Bücher gekauft, die mir auf meiner Suche nach diesem Buch angeboten worden waren. Ich bekam alle möglichen Bücher und dann kam auch noch eBay!!”
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Rosenda Salvado

Rosendo Salvado

Ich hätte nie gedacht, dass man bei eBay alte Homöopathie-Bücher bekommen kann!
 “Als ich einen Vortrag in Stockholm hielt, ging ich in einen Buchladen und fand ein Organon, das 1835 ins Schwedische übersetzt worden war! Die Leute, die ich dort besuchte, hatten nicht einmal gewusst, dass so etwas existierte. Ich habe das Organon auf Russisch, Hebräisch, Finnisch, Persisch, Polnisch, Norwegisch, Farsi und natürlich Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Es ist in viele, viele Sprachen übersetzt worden. Ich warte noch auf eine japanische Ausgabe, da ja auch in Japan homöopathisch behandelt wird.“
 “Als ich in Australien war, besuchte ich die Bibliothek eines Benediktinerklosters, eine oder zwei Fahrstunden von Pert entfernt in der Australischen Wüste.”

Haben Sie dort homöopathische Bücher?!
“Natürlich!”
“Ein Benediktinermönch namens Rosendo Salvado ging nach Australien um die Aborigines zum Christentum zu bekehren.Er unterzog sich der Mühe, ihre Sprache zu lerne, gründete eine Schule, ein Waisenhaus und eine Farm und sorgte für ihr Wohlergehen. Wenn sie krank wurden, gab er ihnen homöopathische Mittel. Wir fanden sogar einen Brief des Klosters mit einer Arzneimittelbestellung an eine Londoner Apotheke, weil die Lieferung offenbar von London schneller erfolgte als von Melbourne! Wir fanden ein altes Organon und viele andere homöopathische Bücher in der Klosterbibliothek.“
 [Francis Treuherz ‘Strange, rare and peculiar: Aborigines, Benedictines and homeopathy’. Homeopathy (2006) 95: 182-286. Illustrierte Kopien erhältlich bei: fran@gn.apc.org.]
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Samuel Hahnemann

Samuel Hahnemann

“Auf dem Weg zur Links-Konferenz in Heidelberg, schaute ich beim Robert-Bosch-Institut in Stuttgart vorbei, welches ein großes Hahnemann-Archiv besitzt.
Die dortigen Bibliothekare haben über Jahre hinweg mit mir Kopien von Büchern und Geschichten ausgetauscht. Über der Garderobe hing ein Hahnemann-Porträt in voller Größe, auf dem er aussieht wie ein brummiger alter Mann, ganz anders als auf den idealisierten Bildern. Sie hatten dieses Bild offenbar bei einer Auktion ersteigert. Der Künstler hieß A.B.J.Hesse, aber niemand wusste irgendetwas über ihn, nicht einmal mein Bruder, ein hervorragender Kunsthistoriker.“


“Der ‘Complementary and Alternative Medicine library and information service’ im ‘Royal London Homeopathic Hospital’ www.cam.nhs.uk hat eine Postcarte mit einer Reproduktion eines Hahnemann-Bildes eines russischen Künstlers, A.J. Beidemann. Hahnemann ist dargestellt oben in den Wolken sitzend und auf die Allopathen herabschauend. Ich empfehle Ihnen, es sich anzuschauen. Es gibt dort einen online Bibliotheks-Dienst wie an einer Universität.”
Ich würde das Bild und die Bibliothek sehr gerne sehen.
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Hahnemann Guard

Hahnemann Guard

Francis besitzt ein Amerikanisches Polizei-Abzeichen, auf dem ‘Hahnemann Guard’ eingraviert ist.
“Das war das Abzeichen eines Polizisten aus Philadelphia, der in den Ruhestand gegangen ist und es bei eBay verkauft hat. Er war von Beruf Wachmann im Hahnemann Hospital in Philadelphia.”

“Ich bekam zwei von diesen Abzeichen und schickte eines davon an meinen Freund, den inzwischen verstorbenen Julian Winston in Neu Seeland.”

Er zeigte ein lustiges Foto von Julian mit dem Abzeichen. „Julian lebte ursprünglich in Philadelphia, wo Boericke und Tafel waren. Das waren im 19.Jahrhundert die größten Herausgeber und Produzenten von Homöopathie in den ganzen USA. Als sie nach Kalifornien umzogen, versuchte Julian sie davon abzubringen, ihre alten Besitztümer wegzuwerfen. Er hatte keinen Erfolg, aber da er am Ort wohnte, hatte er Gelegenheit, die Müllcontainer zu inspizieren und konnte einige wichtige Dinge retten.

Dann zeigte er mir eines von Hahnemanns Wachs-Siegeln von einem Briefumschlag, den er bei eBay ersteigert hatte. Ich sah auch einen kleinen Löffel zur Jahrhundertfeier des ‘Royal London Homeopathic Hospital’ datiert 1849 –1949 und eine Medaille, die einer Krankenschwester als Auszeichnung für ihren 40jährigen Dienst im RLHH erhalten hatte. Er zeigte mir auch Beispiele von Schriftproben, die für die Arzneimittelfindung bei den betreffenden Personen herangezogen und für die Verordnung von Schüßler-Salzen verwendet worden waren.

Louise Mclean

Louise Mclean

Das Interview näherte sich seinem Ende und es wurde Zeit für mich zu gehen. Es war ein faszinierendes Erlebnis, so viel über Francis Leben zu erfahren und die interessanten Geschichten zu hören, die er zu erzählen hatte.

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Francis Treuherz, MA, RSHom, FSHom, lebt in London, UK. Er ist seit 1984 praktizierender Homöopath und hat viele historische und klinische Artikel, einen Forschungsbericht und ein Buch geschrieben.

Original-Artikel und weitere Informationen bei Avilian

 





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